Geschichte der Naturfaser

in Botanik - Forschung - Anbau - Verwertung

Bereits früh erkannten Menschen, dass Pflanzenfasern wie z. B. Hanf, Flachs oder Jute sowie tierische Fasern wie Wolle und Seide sich hervorragend für Kleidung, Seile und Stoffe eignen. Erste Faserstoffe wurden roh verwoben oder gestrickt, doch mit fortschreitender Technik entstanden Spinnen, Web- und Strickmaschinen, Färbetechniken und Wärmebehandlungen, wodurch Fasern stärker, langlebiger und vielseitiger einsetzbar wurden.
Der Wittenberger Professor Georg Rudolph Böhmer (1723–1803) widmete sich dem Thema bereits im 18. Jahrhundert und rückte dabei einheimische Ressourcen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In seinem 1794 erschienenen Buch Technische Geschichte der Pflanzen, welche bey Handwerken, Künsten, Manufakturen bereits im Gebrauche sind oder noch gebraucht werden können fokussiert er unter anderem die wirtschaftliche Nutzung heimischer Faserpflanzen, welche in Handwerk, Kunst und Manufakturen bereits genutzt werden und welche Potenziale noch erschlossen werden könnten. Im Mittelpunkt stand nicht nur die Naturfaser selbst, sondern auch deren wissenschaftliche Erschließung im Sinne botanischer Studien, die Kultivierung der Pflanzen sowie die Verwertung im Sinne einer frühen Kreislaufwirtschaft – ein historischer Ansatz, der heute im Kontext von Nachhaltigkeit erneut aufgegriffen wird.
Insbesondere im beginnenden 20. Jahrhundert rückte die Bedeutung der Faser bzw. der Faserpflanzen als wirtschaftliche Größe in den Fokus der Öffentlichkeit. Spätestens am Vorabend des ersten Weltkrieges, mit der Bekanntmachung des deutschen Bundesrates vom 14. Juli 1914 – Verordnung des Bundesrates über die Regelung des Verkehrs mit Web-, Wirk- und Strickwaren für die bürgerliche Bevölkerung – wurde die Naturfaser zu einem zentralen Aspekt von Wirtschaft und aber auch der Politik. Dies spiegelte sich auch in der Forschung mit der Gründung verschiedener Forschungseinrichtungen wider, wie z.B. des Forschungsinstituts Sorau des Verbandes Deutscher Leinen-Industrieller in der Niederlausitz unter Alois Herzog (1872–1956). Sein Nachfolger wurde der Botaniker Friedrich Tobler (1879-1957), welcher das Institut zur leistungsfähigen Forschungs- und Prüfstelle im Bereich der Bast- und Hartfasern formte. Tobler gründete später an der Technischen Hochschule Dresden das erste deutsche Institut für Angewandte Botanik an einer Hochschule und verband so botanische Grundlagenforschung mit der industrienahen Anwendung von Naturfasern.
Im Bereich Materialwissenschaften wurden durch Selektion und Züchtung geeigneter Pflanzenarten sowie chemische Extraktions- und Veredelungsverfahren (z. B. Retorten- und Laugenprozesse) Reinigung, Glättung und Haltbarkeit der Fasern weiter verbessert. Mit dem Aufkommen synthetischer Fasern im 20. Jahrhundert geriet die Naturfaser wirtschaftlich unter Druck, doch ihre Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit, stellen Naturfaser in vielen Bereichen bis heute eine relevante Alternative dar.
In der Gegenwart arbeiten Forscher daran, Naturfasern wie Flachs, Hanf, Bambus, Kokos und Maulbeerseide mit Biopolymeren und Recyclingprozessen zu kombinieren, um Leistung zu steigern, Umweltbelastungen zu reduzieren und Kreislaufwirtschaft zu stärken.
Der Deutsche Naturfaserverband widmet sich intensiv der Erschließung historischer Wissensbestände rund um Naturfasern. Wenn Sie Fragen, Anregungen oder historisches  Quellenmaterial zu Naturfasern und Faserpflanzen, alten Handwerkbetrieben oder frühen Forschungseinrichtungen aus dieser Fachsparte besitzen, kontaktieren Sie bitte den Deutschen Naturfaserverband, damit dieses Wissen nicht verloren geht.

Verwendete Literatur:
Böhmer, Georg Rudolph. 1794. Technische Geschichte der Pflanzen, welche bey Handwerken, Künsten, Manufakturen bereits im Gebrauche sind oder noch gebraucht werden können. (Theil 1 und Theil 2). Leipzig: Weidmannische Buchhandlung.


Heermann, Paul, 1912. Mechanisch und Physikalisch technische Textil-Untersuchungen. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.


Haka, Andreas, 2023. Engineered stability. The history of composite materials in the 19th and 20th centuries. Wiesbaden: Springer-Vieweg.


Reichsbekleidungsstelle (Hg.), 1916. Reichsbekleidungsstelle. R.S.B. 109. Selbstverlag.

Veit, Dieter, 2023. Fasern. Geschichte, Erzeugung, Eigenschaften, Markt. Berlin: Springer Vieweg.